Under the Spell of Byzantium

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My Years in Greece. The ‚Adyton‘.

Epiphany of Light.
Mykonos

Als er das erste Mal die beruehmt beruechtigte Ausbootung vor Mykonos ueberstanden hatte, konnte er so schnell keine akzeptable Bleibe finden. Er quartierte sich zunaechst – fuer die ersten Tage – in einem Hotelzimmer ein.
Es lag nach Westen. Nachmittags, wenn die Sonne direkt in den Raum schien, kauerte er an der weit geoeffneten Balkontuere auf dem Boden und begann zu malen. Pastelle. In denen sich das Licht farbtupfig materialisierte.

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‚Das waren eigentlich meine schoensten, unbeschwertesten Tage in Griechenland. Die ersten auf Mykonos‘.

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Prompt kam der Rueckschlag, der seine anfaengliche Hochstimmung gewaltig daempfte. Als er aus dem Hotel fort musste, weil das Zimmer anderweitig vermietet war, und der Wirt zu dem urspruenglich veranschlagten Preis eine erhebliche Zuzahlung verlangte, die er betruegerisch fand und die, falls er sie haette leisten muessen, sein ganzes Budget ueber den Haufen geworfen haette. Was er derart bedrohlich fand, dass er stracks zur Polizei ging. Und dort auch jemand fand, der ihn anhoerte, im Hotel anrief, mit dem Wirt verhandelte, der von der Geldforderung Abstand nahm.

‚Ich zog anschliessend in ein lichtloses Kellerloch, was mein hochgemutiges Entree weiter verduesterte. Ich zeichnete eine nackte Gluehbirne, die an einem Kabel ins Zimmer herunterbaumelte‘ ( Sammlung ‚Wilhelmi‘.)

Bis er endlich „Sourmeli“ fand. (‚Was der Name bedeutet, blieb ihm immer ein Geheimnis‘.) Er bezog dort eine Bretter-Huette, die in einem grossen, pflanzengruenem Garten lag.

Sourmeli gehoerte einem Amerika-Griechen, der das Anwesen gekauft und sich dort mit seiner Frau zur Ruhe gesetzt hatte. Er ging der Orangenzucht nach. Das kostbare Wasser, das er dazu brauchte, holte er mit Maschinen tief aus dem Boden. Zweimal am Tage ratterten die Pumpen.

Der Garten war trotzdem maerchenhaft.

John, so nannte sich der Eigentuemer, besass etliche solcher Huetten, die ueber sein Anwesen verstreut lagen, und die er an Sommergaeste vermietete. Die konfortabelste – mit eigebauter Dusche – hatten zwei Amerikaner inne.
John war freundlich. Und recht gespraechig, in seinem Griechisch-Englisch- Kauderwelsch…

Sourmeli lag etwas ausserhalb des eigentlichen Ortes.

‚Ich erinner mich an die Abende, als ich zur Nahrungsaufnahme nach unten in den Ort ging. Unter den Milliarden Sternen und der atemberaubend klaren Milchstrasse.‘

Er begann wieder zu malen. Mit einigen Ausnahmen meistens im schattigen Garten. ‚plein air‘. Malte vor allem Gegenstaende, auf die er so durch Zufall auf dem Gelaende stiess. Je mehr Gebrauchtspuren sie aufwiesen, desto begieriger war er, sie ‚gemalt‘ portraitiert zu sehen.

Abends, in seiner Huette, betrachtete er die Malergebnisse des Tages.

‚Ich schrieb nebenbei an einem Drehbuch, in dem Leute agierten, von denen man zwar sah, dass sie miteinander sprachen. Was sie aber redeten, hoerte man nicht. Ihre Entscheidungen, warum und wohin sie ihre ‚Koerper verschoben‘ und ihre sonstigen Taetgkeiten, sollten nicht ‚wortklar‘ werden.'(Er beschaeftigte sich seit Jahren mit sprachphilosophischen Problemen.)

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Falls er nicht im Garten malte, wanderte er ueber die Insel.

Die Landschaft auf Mykonos ist in der Regel karg. Trotzdem kann man Gegenden finden, die von einer geradezu sinnesberaubenden Schoenheit sind.

Und herrlich einsam. Damals noch.

Er machte tagelange Touren. Bis zu den menschenleere Buchten, wo er mehrere Male ueber Nacht in steinernen Ziegenstaellen die Naechte verbrachte.

‚Ich kaufte ein winziges, bronzenes Gloeckchen, das ich, bevor die Tiere nachts einrueckten, mittels eines Fadens quer ueber die Eingaenge der Staelle band. Um nicht im Schlaf von ihnen – unangekuendigt – – ueberrascht zu werden. Der Anblick der fratzenhaften Gesichter dieser an sich scheuen Tiere, wenn sie ploetzlich und lautlos im Nachtdunkel vor mir auftauchten, haetten mich zu Tode erschreckt.‘

Das PAROS-Diary – Das Hanf-Seil.

Paros war ein Gluecksfall. Er konnte fast sofort ein Haus mieten.
Er ging etliche Tage nach der Ankunft um die Insel herum und fand eine Gegend, die ihm aesserst gefiel.
So kam er zu einem ziemlich verfallenen Haus. Zu dem allerdings ein Hund gehoerte, den er quasi mitmieten musste.

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„Arabi“ – so hiess der Hund – erschien mit einem grobem Hanfseil um den Hals.
Ich fasste augenblicklich Zutrauen zu Arabi und Arabi zu mir. In einer Weise, die sowohl zweischneidig fuer mich, als auch fuer den Hund war. Offensichtlich betrachtete das Tier das Haus einschliesslich der neu hinzugekommenen Person als sein gewohntes Habitat und war deshalb auch nachts nicht einfach ausserhalb der vier ‚eigenen‘ Waende zu halten. Er musste ihn, um ihn draussen zu halten, mit einem Seil irgendwo vor der Haustuere anbinden, weil …weil der Gestank, den das Tier ausduenstete, fuer ihn nicht auszuhalten war. Arabi hatte naemlich die Angewohnheit, sich in den Kadavern verendeter Kuehe lustvoll zu waelzen, die – inmitten riesiger Fliegenschwaerme – aufgedunsen oder mit schon ausgebrochenen Gedaermen in der Gegend herumlagen. Warum sie verendet waren, sagte man ihm nicht.

Ihn ausserhalb des Hauses halten zu wollen, musste dem Hund derart abwegig vorkommen, dass er diesen Rauswurf laustark bellend beklagte. Manchmal ueber Stunden. Bis er das Seil, das ihn angebunden hielt, endlich zereissen konnte. Um dann zu seinen eigenen Leuten, den Vermietern des Hauses, die etliche Kilometer entfernt wohnten, zu entweichen. Am naechsten Morgen war er meistens wieder da.

‚Ich lebte in diesem Haus, losgeloest von Zeit und allem Sonstigen. Ein Einsiedlerleben. Zwar hatten die Besitzer oefters auf den Zweibelfeldern zu tun – es gab zwei Ernten im Jahr – lagerten auch manchmal, um der Hitze zu entgehen, im Schatten des Hauses. Das stoerte ihn nicht. Es gab eine wohlwollende, stille Verstaendigung zwischen den Leuten und ihm.

Nikos, der Wirt, brachte ihm gleich zu Anfang zwei Fische. Die der ‚Kuenstler‘ nach und nach in verschiedenen Techniken ‚kuenstlerisch verbriet‘. Aber nicht aas. ‚Ich hatte so meine Bedenken.‘ So vergammelten die Fische allmaehlich. Diese Zustandsveraenderungen hatten eine gewisse Aehnlichkeit mit denen, die auch in den sich zersetzenden Kuhkadavern vorgingen.
Falls er nicht im Haus arbeitete, ging erzwischen den Feldern herum, schaute, was sich so zutrug, oder lief ans nicht weit entfernte Meer. Stieg oft auch auf den weglosen Berg hinter dem Haus. Hatte dabei ueber ein Meer von Felsbrocken zu springen. Wobei er bei jedem Aufstieg einen Stein mitnahm, immer denselben, entweder von unten nach oben trug und dort liegen lies, oder umgekehrt nach einem Aufstieg wieder nach unten nahm und dort in eine Ecke legte. Bis er ihn beim naechsten Aufstieg wieder nach oben befoerderte und ihn dort liegen lies. Das ging so ueber Wochen.

‚Ein Ritual, das ich mir heute nicht mehr ganz erklaeren kann, meint er. Was war der Grund, dass er das so zwanghaft tat? Zwanghaft? Vielleicht war es auch nur wie das Ballspielen eines uebermuetigen Jungen.

Mit sich allein sein zu koennen, ist allerdings auch eine Kunst. Die Freiheit zu haben, fast alles machen zu koennen, kann sich unter Umstaenden ins Negative verkehren. Wobei man mehr oder weniger die Kontrolle ueber sich zu verlieren droht. Letzteres war aber auf Paros nicht angesagt. Eher oefters waerend seiner langen Amerika-Reisen, die er alleine unternahm.

Die Aussicht von oben ueber das Land und das Meer war ueberwaeltigend. Er versuchte das malerisch einzufangen. Wie ihn ueberhaupt die unglaublich schoene Paros-Landschaft zu Abbildungen reizte. Zu den verschiedensten Tageszeiten. Selbst bei Mondaufgang.

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Es war eine Art Trunkenheit.
Cataclysm of a Byzantine Landscape

Post und andere Verstaendnismoeglichkeiten gab es zu der Zeit keine fuer ihn. Er haette sie auch vorsaetzlich gemieden. Nur zwei Bekannte wussten, wo er sich aufhielt: ein amerikanisches Schriftsteller-Ehepaar mit Tochter, weit weg im Hauptort und Spiros P. und dessen Frau, regelmaessige Sommergaeste aus Athen. Im Nachbardorf.
‚Spiros, ein aelterer Mann, war fasziniert von dem, was ich tat. Er malte selber, was schnell zu einer freundschaftliche Beziehung zwischen uns fuehrte. Wir verstaendigten uns auf Deutsch, was Spiros recht gut beherrschte. Zu meinem Erstaunen war er auch mit der deutschen Philosophie vertraut. Hegel schien ihm viel zu bedeuten. Welchem Beruf er nachging, habe ich leider nie erfahren. Ihn von seiner Frau zu erfragen, habe ich versaeumt, als ich sie nach seinem Tode in Athen besuchte und zwei Bilder ihres Mannes geschenkt bekam.‘

Spiros vermittelte ihm von Athen aus Aufenhalte auf Hydra und Mykonos. Er war damit der indirekte Anreger einer Reihe von Werken, die in Griechenland ausgefuehrt werden konnten. Von denen Spiros aber persoenlich nur wenige sah, weil er ganz ploetzlich verstarb. Er versicherte mir jedoch bei einem letzten Besuch in meinem Haus, dass, wer einmal EIN Werk von mir gesehen haette, alles gesehen habe, was ich in meinem Leben noch machen wuerde. Meinend, im Kern sei alles in einem angelegt. – Das damals herrschende Obristenregime hasste er. „Das sind alles Moerder!“ (Wobei er den deutschen Ö-Umlaut wie ein Ä-Umlaut aussprach.)

Spiros war damals offensichtlich schon sehr leidend. Ein Ausflug mit ihm nach Thira war bereits recht beschwerlich.

Die Rueckkehr mit dem Schiff nach Paros musste wegen eines Sturmes in der Aegaeis um Tage verschoben werden. Ich nutzte den verlaengerten Aufenthalt, die Farborgien waehrend der Sonnenuntergaenge in Wasserfarben zu malen; schnellstens, bevor sie versank. Ich sehe sie nicht als ‚Sonnenuntergangs-Kitsch‘. Auch einige Zeichnungen fertigte er an, die noch ein ‚Santorini‘ zeigen, fernab von jedem Touristenrummel. Letztlich lies er sich von einem einheimischen Fotografen ablichten. Zur Dukumentation. (Das naemliche Foto, das ich an den Anfang des Essays gestellt habe.)

[Exkurs:
Thira, auch Santorini genannt, war ihm also schon recht vertraut.
Bei einem spaeteren Aufenthalt dort, sieben Jahren danach, las er Rorty’s „Philosophy and the Mirror of Nature (1979)“. In den ‚Loesshoehlen‘ am Kraterrand. Die sprachphilosophischen Probleme hatten ihn wieder eingeholt.]

Die Vermieter des Hauses in den Zwiebelfeldern, Nikos und seine huebsche Frau L., waren gastliche Leute. Zum griechischen Osterfest wurde er eingeladen. Wobei es galt, einem gekochte Ziegenschaedel etwas Fleisch abzuringen.

Er erwiderte diese Einladung mit einem Bildgeschenk. Wobei er sich bemuehte, das Geschenk fuer diese Menschen, die man hochnaesig als ‚einfach‘ bezeichnen wuerde, durch und durch ’schoen‘ zu gestalten. (Vielleicht ist es noch in Familienbesitz.)

Der Hoehepunkt ihrer Beziehung waren zwei Portraetsitzungen. Nikos, mit Roetel zu zeichnen, machte ihm keine Schwierigkeiten. Das Pastellbildnis von Nikos‘ Frau bekam jedoch auffallend melancholische Zuege, was – wie er sich es noch heute einredet – zur Folge hatte, dass die Schoene zu einer angesetzten zweiten Sitzung nicht mehr erschien. So blieb das Bild zwischen den Zeiten haengen, (Was, wie er sicher ist, seiner ‚ernsten Wuerde‘ nicht abtraeglich ist.)

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The ‚Freedom-Memorial‘ for a Dog and the Painter H.B.
(False Date)

‚Ein ploetzlich ausbrechende Krieg zwischen Griechenland und der Tuerkei, war DER Einbruch in dieses Idyll. Durch die Taeler gellten die schrillen Schreie der Frauen. Mir – als ‚Fremdem‘ – wurde kein Brot mehr verkauft. Von dem, was sich augenblicklich Welt zutrug, erfuhr ich nichts Genaueres.‘

Das beunruhigte ihn.
Er kehrte vorerst zu seinen amerikanischen Freunden in die Inselhauptstadt zurueck.

Paros – „Der Herd“ und „4. Juli (67)“.

„Der Herd“ ist eines der spaetesten Bilder, das er im Haus auf Paros als Pastell malte.

‚Es ist natuerlich fast aussichtslos, sich selbst analysieren zu wollen, wie und warum man nach einer derart langen Zeit, auf diese oder jene Weise, seine ‚Bildwelten schuf‘. Aus dem Abstand der vielen Jahre, die seitdem verflossen sind, glaube ich trotzdem, es versuchen zu sollen. Mir selbst – und eventuell auch den Freunden – das Spezifischer meines griechischen Unterfangens zu ‚erhellen‘. Mit Worten. (Was mir am wenigsten liegt. Dennoch, ein bischen Literatur kann nicht schaden) Dass was wirklich war, zeigte sich sowieso nicht mehr.

Was trieb ihn zu dieser Zeit eigentlich so um..?

‚Ich waehlte zwar – vage – die Oertlichkeiten, wo ich mich nieder lassen wollte, nahm aber keinen direkten Einfluss darauf, wie sich das im Einzelnen dann entwickeln sollte. Ich lies mich nach der Ankunft schlicht treiben. Die Jahre mit den Menschen in Griechenland sind mir ‚zugebracht‘ worden. Das spezifische Denken dort, auf das ich reagieren musste, auch. Ich habe eigentlich nichts inszeniert. Es war alles wie eine bereits ausgelegte Folie, auf der ich mich entfalteten durfte/sollte/musste. An eine Betaetigung mit Pinsel und Farbe war anfangs nicht gedacht. Das ergab sich. Wie von selbst.

Auch die Probleme. Als ich auf Paros das naechste Jahr im grossen Stil wirklich zu Malen anfangen wollte, fuehlte ich sofort, dass das nicht geht: es gibt keine Wiederholung.

Es gibt nur den Platzwechsel nachdem es irgendwo zu Ende gegangen ist. Der Athos und seine Ideologie des staendig- auf- der- Wanderschaft-Sein-Sollens war ihm von daher eigentlich nie fremd gewesen. Der spaetere Besuch auf dem Athos selbst, war am Ende nur eine Bestaetigung dessen, wie er sich grundsaetzlich mit der Welt verbunden sehen moechte. Als ein Durchreisender (Seine Reisen nach China und Amerika oder sonstwohin waren von aehnlicher Natur.) Das Freibleiben-Muessen als Lebenselexir.

Motto: ‚Der Himmel hat keine Grenzen. Die Erde hat keinen festen Punkt.‘

Das Verblueffende an den Bildern, die er in Griechenand herstellte, sind die staendigen Stilwechsel, in denen sie Jahr fuer Jahr und von Ort zu Ort ausgefuehrt wurden.‘

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Die ersten Malereien, die er in Griechenland, auf Mykonos, machte, waren spontane Pastelle und Aquarelle, die einesteils realistisch sind. Anderenteils exstatische Zuege aufweisen, die absolut nicht in diese Rubrik einzuordnen sind und sich eher von dem ungeheuren Licht dort und den kykladischen Winden inspirieren liesen, diesen Winden, die immer boeig durch diese Gegend fegen und sich in optischen und anderen Verzerrungen austoben.

‚Was den „Herd“ein Jahr spaeter nach dem Mykonos-Aufenthalt auf Poros entstanden – so anders macht, ist die Art, wie ich – als Beispiel – das Innere dieses aufgelassenen, toten Herdes malte. Als etwas fest Zusammengefuegtes. In der ausgedachten Manier eines Ateliermalers. Als Gegensatz zu dem im uebrigen Bilde vorherrschenden etwas betulichen Realismus, dem ich damals anhing. (So beurteilt aus meiner heutigen Sicht.)‘

Es war – vielleicht – seine Reaktion auf und sein Protest gegen die biedere Malweise, die damals in Griechenland an der Tagesordung war; der auch Spiros, als Hobby-Maler, anhing. Das Bild muss die Realitaet spiegeln. Sollte wie eine Fotografie sein. So das landlaeufige Kunstverstaendnis. (Und nicht nur in Griechenland.)

Aber auch, weil er im damaligen Griechenland die Verteufelung der amerikanischen, ‚abstrakten‘ Bildkunst, als CIA-hoerig, zu bloede fand.

‚Andererseits war das ‚Volksnahe‘, das ich mir damals ‚van Gogh-like‘ angeschminckt hatte, nicht so echt, wie ich es mir urspruenglich einreden wollte. Ich spuerte eine gewisse Diskrepanz zwischen meinem Volkstuemlich-Seinwollen und der Wirklichkeit. Auf Paros ganz besonders. Die damals von mir gesuchte Naehe zu den Bauern und Fischern dort, hatte etwas naiv Anbiederndes, an ein Milieu, dem ich eigentlich nicht zugehoerte. (Mein spaeterer Umgang mit der ‚Pasok‘ in meiner Athener Zufluchtszeit, war im Grunde von aehnlicher Natur.‘)

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‚Das zweite Bild, das vom 14.Juli 19(74), ist von ganz anderer Beschaffenheit. Es ist die Richtung auf das genuin Byzantinische, auf die Ikone zu. Ich kannte Pavell Florenski’s Buch ueber ‚Die umgekehrte Perspektive‘ zu der Zeit noch nicht. Florenki’s These, dass die Erfindung der ‚Zentralperspektive‘ in der Renaissance ein in die Irre fuehrender ‚Dressurakt‘, und – hoechst moralisch fuer Florenski – eine ‚Degenerationserscheinung‘ gewesen sei.

Das hermetische Bild zeigt neben realistisch gemalten Gegenstaenden eine auffallende Perspektivverzerrung des gelben Buches (Die Brueder Karamasow) nach oben hin, in eine Region des Bildes, ueber die eine Tomate zu schweben scheint. (Die Deutung dieser Bilderfindung ueberlasse ich dem Bertrachter.)

Es gibt auch andere meiner Bilder – zum Beispiel das ‚Livanistiri‘ – ,die aehnliche Verzerrungen aufweisen, Verzerrungen, die man als das kindliches Nichtbeherrschen der ‚richtigen‘ Perspektive abtun koennte.

Ich fuehlte, dem Abgebildeten eine weitere Sinnebene hinzufuegen zu muessen. Eben vielleicht das genuin ‚Ikonische‘; das aus der Zentralperspektive Abgerueckte.

So wurde Paros ein Ort, wo ich anfing, ausgekluegelter zu ‚arbeiten‘. Das Genialische war aber damit ‚floeten‘.‘

Hydra – Die erhobene Hand.

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Schon der Anblick des als Dependance der Athener Kunsthochschule firmierenden, unter Denkmalschutz stehenden, ehrwuerdigen Gebaeudes, war eine leibhafte Vorahnung von dem, was ihm dort bevorstand. Die totale Abschottung.In die Leere.

Mit burgartig dicken Mauern, in halber Hoehe ueber dem Tal von Hydra gelegen, war es wohl vor etlichen Jahrhunderten von reichen, griechischen Kaufleuten erbaut worden.
Die hohen Zimmer, mit ebenso hohen Fenstern, die mit schweren Holzlaeden verschlossen werden konnten, hatten kloesterlich abweisenden Charakter. Einen ‚Saal‘ mit etwas barocken Dekorationsteilchen, durfte er beziehen.

‚Da hockte ich nun, fuehlte mich wie eingekerkert.

Zu allemdem mit dem unausgesprochenen, fast amtlichen Athener Auftrag im Nacken, hier ‚in Kunst‘ machen zu sollen.
Die jungen Leute und Lehrer dort stellten die ueblich konventionelle Sachen her. Auch nur in die Naehe ans Abstrakte zu ruehren, war Anathema. Die holprigen, streitsuechtigen Gespraeche mit ihnen waren intellektuell unerquicklich.

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Was mich innerlich in einer Weise motivierte, dass ich mit den grellsten Farben, die mir aus meinem damaligen Farbkasten zur Verfuegung standen, riesige, ikonenartig flaechige Bilder anfertigte, mit der Absicht, das dort geuebte Kunstschulstilartige provokativ zu unterlaufen.

Was damals auf jeden Griechen fremdartig und frivol wirken musste. Besonders die Produkte, die als Selbstbildnisse zu erkennen waren. Als schnurrbarttragenden Kerl, mit einer christusgleich – erhobenen, segnenden Hand, mit gelben oder roten Augen und mit archaisierenden Taetowierungen auf den Wangen. Auch andere Bilderfindungen waren fuer sie irritierend.

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Etwa ein Bild, das den beruehmten antiken ‚Heniokhos‘- den delphischen Wagenlenker – zeigt. In der Art einer Ikone gemalt. – Seltsam.

Orthodoxe Negativbilder. Fast ikonoklastische.

Nebenbei. Von R., dem ich meine augenblickliche Adresse uebermittelt hatte, erhielt ich Post. Das einzige Mal in Griechenland. Sie beinhaltete eine Musikkassette: die Achte von Mahler. Wie ich spaeter erfuhr. Das Paeckchen musste laengere Zeit in der Hitze gelegen haben, denn das darin befindlich Band hatte sich derart verzogen, dass nur noch ein eigenartiges Geraeusch darauf zu hoeren war. R. wollte meinen mitgenommenen Bestand an Mozart-Musik etwas aufmischen. Die Mozart Musik,“ Klavierkonzerte“, war damals meine staendige Begleitung in Griechenland.

Ich las die Bibel.

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Das Alte und das Neue Testament. In einem Zuge. Was mich gemuehtsmaessig ziemlich angriff und etwas depressiv werden lies.

Aus der sich kesselartig nach oben ziehenden Haeusseransammlung Hydras droehnte derweil der hallartig verstaerkte Laerm des Ortes zu mir empor. Und direkt ins Zimmer. Vom fruehen Morgen an, bis in die spaete Nacht hinein. Waehrend draussen, unten am Hafen, die aus dem ueberhitzten Athen entflohen Griechen, ihren Sommerfreuden nachgingen, hielt ich mich hinter meinen geschlossenen Holzlaeden im Halbdunkel von allem fern.

Enter Anna C.

In der Unterkunft lernte ich Anna kennen, eine franzoesisch sprechende, prezioese, griechisch Kuenstlerin, die ich alsbald in Acryl malte. Liebreizend rosig mit geschlossenen Augen und einem GoldHerzchen um den Hals. Auch dieses Acrylstueck geriet ziemlich ikonenartig.

Es entstand eine foermliche Freundschaft zwischen uns. Anna ueberlies mir spaeter fuer einige Zeit ihr Athener Atelier. Ich besuchte sie in der Lièger Kunsthochschule, fuer die sie ein Stipendium erworben hatte. Wo ich mir in den Gaengen die dortige Gipsskulptursammlung ansah und etwas zeichnete.

Anna kam anschliessend nach Berlin, wo ich sie nochmals in Wasserfarben malte. Und, wo es alsbald zum Bruch mit ihr kam.

Fazit: Hydra als Falle. Ich zum aufsaessigen, komischen Ikonenmaler geworden.
Ich entfloh aus Hydra. Auf einem regulaeren Schiff in Richtung Poros.‘

Galatas /Poros – Der Ikonenhaendler. Die Gardenie.

‚Der Friseur des Ortes gab mir den Tip, es mal bei einer alten Frau zu versuchen, ob die eventuell ein Zimmer zu vermieten habe und zeigte in eine bestimmte Richtung.

Die alte Frau nahm mich in ihr Haus auf.

Waerend sie meistens unten in einem kellerartigen Gewoelbe hauste, lebte ich im ersten Stock in einem huebschen, hellen, aber sehr kleinen Zimmerchen. Wo ich zumindest mein im Ort erworbenes Malbrett auf dem Tisch auslegen konnte.

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Es erschienen Leute. Unter anderem „der Ikonenhaendler“. Der bizarrste Mensch, den ich in der ganzen griechischen Inselwelt kennenlernte. Er liess sich, ohne dass er dazu ueberredet werden musste, portraetieren. Oben, in meinem kleinen Raum. Er sass mir die ganze Zeit unbewegt gegenueber. (Als belauere er mich.) Er war von einer geradezu abschreckenden Haesslichkeit. Ein schielaeugiges, kleines Monster. Ich war fasziniert.

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Sein Gewerbe war der Verkauf kleiner, handtellergrosser Bildchen religioeser Natur. An fromme Leute; wie meine Wirtin eine war, die im Eingangsbereich ihres Haeuschens ein kelchartig flaches Gefaess aus Kupfer stehen hatte, in dem den ganzen Tag ueber Weihrauch brannte. (Dieser Anblick hat mich zu einem meiner schoensten Aquarelle inspiriert. Wie ich meine.)

Die Wirtin – von ihr gibt es ein Aquarell und eine Zeichnung – war ziemlich alt, trug eine Brille und etwas Kopftuchartiges. Morgens servierte sie mir einen griechischen Kaffee, der im Mietpreis inbegriffen war. Ansonsten bettelte sie mich an, wann immer ich ihr ueber den Weg lief.

In einer Nische direkt an ihrer Haustuere stand eine grosse, rote, mit einem ebenfalls roten, schwimmenden Schwan dekorierte Metall-Buechse, in die eine cremfarbene, betaeubend riechende Gardenie eingepflanzt war. Ich durfte sie fuer kurze Zeit auf mein Zimmer tragen, und ein Aquarell von ihr machen. (Es haengt heute, unter Glas, im Flur meiner Wohnung.)

Bald hatte es sich in dem Ort herumgesprochen, dass ich Portraets male.

Und bald hatte ich auch eine kleine Sammlung von ihnen zusammen.

‚Die ‚Galatasfamilie‘, wie ich die Serie nenne.‘

Sie enthaelt unter anderem das Bildnis eines jungen Mannes mit nacktem Oberkoerper und das Bild eines Maedchens mit einer Disney-Goofy-Figur auf ihrem T-Shirt. Auch eine honigblonde Frau mit einer ueberdimensionalen Warze am Kinn ist dabei. Alles sehr grosse Aquarelle.

Galatas liegt an einer Meerenge auf dem Pelopones, durch die die Fahrroute der grossen Schiffe geht. Gegenueber liegt die Insel Poros.

Wandert man von Galatas weiter in den Pelopones hinein, kommt man nach kurzer Zeit in ein Tal mit einer Zitronenplantage, die von einer starken Quelle bewaessert wird. Dieses Tal besuchte er oefters. Malte dort auch. Zwischen hunderten, immer bluehenden Zitronenbaeumen. In einer Duftorgie.

(Die Quelle des Tales wird auch nach Galatas weitergefuehrt und spendet den Einwohnern dort klares, kuehles und gesundes Trinkwasser. Was er genoss.)

Gegenueber, auf der Insel Poros gab es kleinere Kiefernwaelder. Und eine winzige Quelle, ein Rinnsaal im Hochsommer, von der die Einheimischen tropfenweise Wasser abfuellten, weil es als heilig galt. In den Taelern, dem Meere zu, wimmelte es von kleinen Schildkroeten. Ein einzigartiger, eben heiliger Platz. Um die Quelle standen rosa bluehende Oleanderbuesche.

‚Ich malte die Szene mit den hierher, in einem Eimerchen geschleppten, Acrylfarben. Bei gluehender Hitze und unter dem Gezirpe der Zikaden. Malte dort leider ein recht konventionelles Leinwand-Acrylbild. Gruen war Gruen war Gruen…‘

Faszinierend fand er die knorrigen, uralten Olivenbaueme auf den Huegeln von Galatas. Eine Serie von Kohlezeichnungen entstand. Der Akt des ‚Propfens‘ dieser Pflanzen im Mittelpunkt.

Der Abschied von Galatas war uberstuerzt.

‚Ich hatte mich in der Zeit fuer die Abfahrt der Schiffe vertan. Schmiss meine belastenden Schnuerschuhe in die Ecke. Lies das Holzmalbrett zurueck, packte das Uebrige hastig in den Seesack und eilte zur Schiffsanlegestelle…

Die Wirtin schuettelte den Kopf.

(Ich wundere mich heute, dass ich fast alles, was ich damals in Griechenland herstellte, heil ueber die Meere nach Hause brachte.)‘

Mykonos 2 – Der Fisch.

Eines der verruecktesten Kapitel meiner griechischen Karriere.

Spiros besorgte mir nochmals eine zeitlich begrenze Bleibe in einem weiteren Ableger der Athener Kunsthochschule. Auf Mykonos. Somit kam ich das zweite Mal auf diese Insel.

Falls ich dachte, ich koennte dort einheimischen Kunststudenten begegnen, so irrte ich. In dem zweistoeckigen Haus ‚weilten‘ nur Auslaender.

Darunter zwei deutsche Damen. Beide aus demselben deutschen Ort.

Die sonnten sich die meiste Zeit nackt auf dem Dach. Die eine hiess Trude, war strohblond mit veilchenblauen Augen und malte – was man auf den ersten Blick nicht erkennen konnte und auf den zweiten auch nicht – Kinderchen aus der Dritten Welt. Trude war – wie sich spaeter herausstellte – die Frau eines der Leibfotografen Adolf Hitlers. Dem ich spaeter die Hand schuetteln durfte.

Enter Barbara.

Barbara – ein fuelliger, muetterlicher Typ – die mir sehr zugetan war, sollte mich des weiteren mit Gefaelligkeiten aller Art garadezu ueberschuetten. Sie nannte sich ganz stolz: ‚akademisch ausgebildete Malerin‘ und war in Wirklichkeit eine Kunsterzieherin an einer Schule. Das, was sie zumeist malte, waren ueppige Blumemstraeusse in der Art der Alten Niederlaender. In Oel. Die sich gut verkauften.

Sie lud mich in ihr Haus im Sueden Deutschlands ein. Was ich annahm. Ich malte dort unter ihrem Dach bei Sommerhitzegraden Wasserfarbenbilder. Meine Indianerserie. (als ‚Einuebung‘ in das Amerikanische.)
Spaeter lud sie mich nochmals ein, mit ihr und ein paar Galeristen und Galeristinnen nach New York zu fliegen. Was ich auch annahm, weil ich geistig bereits darauf vorbereitet war. Und zog mit ihr und der deutschen Kunstmeute durch das damals auf Hochtouren laufende Galerienleben der Riesenstadt. Amerikanische Kunst war ueberall angesagt. Und wurde gnadenlos gekauft. Der renommierte Berliner Kunsthaendler Springer (inzwischen verstorben) erwarb, was immer er erwerben konnte, nachdem er wie boese Leute erzaehlten – mit blossen Haenden, blind(!) ueber die Oberflaechen der ihm angebotenen Gemaelde fuhr, und, wenn sie ihm so richtig ‚glatt‘ (hard edge!) genug erschienen, sein Checkbuch zueckte.

Aber das war damals bereits schon etwas Vergangenheit. P.S.1 war jetzt angesagt, als wir anrueckten. Als allerneueste Kunst . Eine der ersten Jasper Jones Gesamtausstellungen musste man auch gesehen haben.

Bei Jasper Jones kam es mitten in den Austellungsraeumen zu einem theatralischen Heulausbruch Barbaras, die sich durch diese ihr mehr als fremd gebliebene Kunst, existentiell ‚zerschmettert‘ sah. Es musste qualvoll fuer sie gewesen sein, an ihrem ‚eigentlichen ‚Kuenstler-Leben‘, wie es haette sein koennen, derart ‚vorbei gelebt‘ zu haben.

Wir fuhren anschliessend gemeinsam zu ihrem ehemaligen Mann Misch nach New Jersey, der dort nach der Scheidung von ihr mit einer kettenrauchenden Quaekerin zusammenlebte. Auf dem Grundstueck prunkte ein schreinartiges Holz-Haus, das Misch eigenhaendig erbaut haben will. Um das Grundstueck lief ein befestigter Graben, in dem zwei scharfe Hunde ihre Runden drehten.

Wie mir Barbara spaeter erzaehlte, soll dieser Mann durch den Krieg gewisse Gehirnschaeden erlitten haben, die sich in Halluzinations-Schueben entluden. Unter einer dieser Anwandlungen soll er sie ueber das Balkongelaender ihres Hauses in den nicht allzu tiefer gelegenen Garten geworfen haben.

(Barbara verdanke ich meinen ersten Aufenthalt in den Staaten. Das sollte ich ihr nie vergessen.
Ein tragischer Geschehnis machte unserer jahrelangen Freundschaft ein sehr ploetzliches Ende.)

Nach diesem Exkurs, anderweitige, menschliche Verwicklungen betreffend, zurueck zu Mykonos.

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Ich malte dort das Bildnis eines jungen, Athener Byzantinisten.

Es ist ein Stueck virtuoser Malerei im alteuropaeischen Stil mit byzantinischen Anklaengen. Wie es ein Tizian auf einen Cimabue gemalt haette.

Die Geschichte von Byzanz war immer ein Hobby von mir. Die byzantinische Kunst ebenso.
Die Mosaiken in Ravenna und die in Sizilien kannte ich seit meiner Schulzeit (Dank meines ersten Zeichenlehrers.) Sie faszinierten mich.

Ansonsten begann ich mich unter dem Einfluss der anderen Hausbwohnern einem ziemlich frivolen Insel-Leben hinzugeben. Ausschliesslich sexueller Natur. Mykonos hat paradiesische, ’superparadiesische‘ Straende. Und ein ausgepraegtes Nachtleben.

Eine Episode sollte ich aber nicht vergessen. Es gab einen freundlichen Hausmeister in dieser Kunst-Dependance. Als ich an einem Spaetnachmittag zurueckkehrte, roestete er im Vorgaertchen, ueber einem offenen Feuer, kleinere Fische. Er bot mir einen fertig gegarten an. Was mich gewoehnlich sofort zum Ablehnen einer solchen Gabe veranlasst haette, da ich den Verzehr von Fisch rigoros ablehnte, weil ich mich nach solchen Mahlzeiten gewoehnlich uebergeben musste. Wie sollte ich das dem freundlichen Griechen klar machen? Ich aas den Fisch mit unterdruecktem Widerwillen, in seiner Anwesenheit, und – siehe da! – ich hatte keine Beschwerden danach. Die Blockierung war ab da durchbrochen; ‚Fisch‘ esse ich seitdem besonders gern.

(Das ‚Heilende‘ kommt immer von woanders her. Und zur rechten Zeit – mich an eine Szene aus Bunuel’s ‚Nazarin‘ erinnernd.)

Wie haette ich auch sonst auf dem Athos ueberlebt? Ohne Fisch essen zu koennen‘)

Athen – Kumpeln mit der Pasok.

Athen war von Poros und Hydra aus leicht zu erreichen. Um Nachschub fuer die Kunst und anderes zu besorgen. Mykonos und Paros lagen weiter weg.

Athen ist und war immer das Zentrum alles griechischen Denkens und Tuns. Er empfand es deshalb als ein Glueck, das freie Atelier von Anna C. im Zentrum der Stadt, fuer einige Zeit ‚kuenstlerisch nutzen‘ zu duerfen und dort auch naechtigen zu koennen.

Das Haus war derart baufaellig, dass man es in Deutschland sofort als nicht mehr zu begehen vernagelt haette. Dort leben zu muessen war eigentlich eine Qual, weil es an einer der schmalen Athener Durchgangsstrassen lag, durch die sich der endlose Hauptverkehr quaelte. Tag und Nacht.

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Mit einem Getoese, dass die Waende wackelten. An Ruhe war nie zu denken.

‚Ich belegte einen Griechischkurs, den ich aber nach kurzer Zeit wieder abbrach.
Weil ich keine Moeglichkeit sah, in Griechenland auf laengere Zet wohnen und arbeiten zu koennen, wie ich es mir im Geheimen so dachte. (Naiv wie ich damals war.)

So nach und nach lernte ich andere Griechen in meinem Alter kennen. Die meist enhusiastisch der Pasok-Partei anhingen. Kein Wunder nach dem Obristen-Alptraum.

Enter Aphroditi.

Eine der Pasok-Anheaengerinnen, eine englisch und deutsch spechende, griechische Ikonenmalerin, gefiel mir sehr.
Von ihr erfuhr ich, wie Ikonen wirklich hergestellt werden. Was ja nicht nur ein reiner Malakt ist, sondern viel mehr. Christlich-ideologisch gesehen sind sie: ‚Fenster in eine andere Realitaet‘. (Pavel Florensky)
Aphroditi stellte, soweit ich das damals sehen konnte, neben ihrem Touristenkram echt Genialisches her. Im Ikonenstil. Ein genuines Portraet eines jungen Maedchens schenkte sie mir. Es ist ein Prunkstueck. Ich gab ihr eine kleinere Collage aus Buntpapier. Eine betont erotische.

Aphroditi Pournari war witzig und klug und rauchte wie ein Schlot. Ihre Mutter war Kommunistin. Was ihrer im Grunde zu tiefst religioesen Kunst eine pikante Note verlieh. (Was mir damals ideologisch sehr zu Pass kam…)

dscn5618Aphrodite kam spaeter nach Berlin und verliebte sich in einen Deutschen. Sie versuchte ihre Touristen-Ikonen in den Ikonenlaeden der Stadt zu verkaufen, die meist mit aus Russland stammender Ware bereits uberschwemmt waren.

Mit meiner Nikon versuchte ich oben in meinem Atelier eines ihrer Bilder fotografisch zu analysieren. Nebenbei malte sie mich in Ihrer eigenartigen Maltechnik. Farb-Puelferchen mittels Eidotter anrueren anruehrend.

Nach einer gewissen Zeit kehrte sie nach Griechenland zurueck und heiratete einen Landsmann. Ich besuchte sie nochmals in Athen, als sie schon ein Kind hatte. Wir assen ein letztes Mal zusammem.

Ich erinnere mich, in Ihrem Atelier zuletzt ein Landschaftsbild gesehen zu haben, das zum Ikonischen noch stilistische Einsprenksel aus Persischen Miniaturen zeigte. Es war ein sehr, sehr eindrucksvolles Bild.
Ich verlor Aphroditi aus den Augen.

Leider waren wir nie zusammen im Byzantinischen Museum. Leider haben wir nie ueber Pavel Florenski (1882-1937) gesprochen, der das Beste, Stubendeste ueber die Ikonenkunst geschrieben hat. (Pavel Florenski: die umgekehrte Perspektive, 1920; die Ikonostase, 1922). Noch haben wir uns ueber Andrei Rublev unterhalten.
[„Die Ikonen-Malerei stellt die Dinge als von Licht hervorgebracht dar.“]
[„Die Ikone wird auf Licht gemalt.“]
Ideen, die mich auch heute noch faszinieren‘.

Versaeumte Gelegenheiten; wie immer im Leben.

Ich habe Aphroditi in Berlin – vor einem Monet stehend, – fotografiert.

(Uebrigens: In Byzanz sprach man Greichisch.)

(Ich erkenne heute das eigenartig Kreisfoermige meiner griechischen Zeit. Im Zentrum stehern die drei als Ikonen verkleideten Acryle. ‚Biokommunistische, ikonoklastische Ikonen‘, moechte ich sie taufen. Sie sind mein Bekenntnis zur einer gewissen quasi-religioesen Selbstbindung. Fuer die ich keine Worte finden will.)‘

Mit den Pasokleuten machte er – sozialistische Lieder mitsummend – auch Ausfluege. An einen per Bus nach Euboea erinnere ich mich.

Er fuehlte sich recht zu Hause bei ihnen. War der Umgang mit diesen Menschen doch eine weitere Erfuellung seiner leicht ‚zwanghaft‘ zu nennende‘ Hinneigung zu den ‚einfacheren‘ Leuten. Frueher Bauern und Fischer. Jetzt zum ‚intellektuellen Studenten- Proletariat‘.

Er lebte jetzt fast ausschliesslich auf dem teuren Kolonaki-Platz. Weniger in Anna’s Atelier. Hatte seltsame Begegnungen unter der ‚Jeunesse doré‘ Athens. Christos zum Beispiel, an ‚inamorato of mine‘, der spaeter an A. starb . Oder ein Paerchen, das total bekifft, fast den ganzen Tag, in einer Art Koje auf dem Boden liegend, nur und nur Bach-Musik hoerte. Das, in einer Wohnung genau gegegenueber dem Nationalmuseum, wo der Heniokhos, der Wagenlenker aus Delphi, steht.

Er begann auch wieder ein Nachtleben zu fuehren. (Bitte!:“I was in the prime“, in den besten Jahren. Damals.)
Das alles hiess im Klartext, dass er in Athen in der naechsten Zeit nicht gerade dazu neigen wuerde, zu malen. Wie er das auf den Inseln so intensiv betrieb. Nichts lief mehr. Ausser vorwiegend auf pechschwarzem Grund gemalte Bilder. Eine Farbe, die eigentlich keine Fabe ist. Eher Lichtentzug signalisiert.

‚Ich war weit weg vom mykonesischen Licht. Auch innerlich.‘ (Sagte er mir vertraulich.)

Er besuchte Ortschaften, wie etwa Daphni, das nicht alzu weit von Athen liegt. Der Mosaiken wegen. Und die Athener Museen. Besonders das Byzantinische, wo er sich in sein Lieblingsbild vertiefte, eine Ikone des Erzengels Gabriel. Ein unglaublich magisches Bild. Direkt aus dem Byzanz des 11. Jahrhunderts. Mit dem authentischen Geruch einer voellig untergegangenen Welt. Von deren sagenhaften Existenz nur noch Experten, sogenannte ‚Byzantinisten‘, wissen.

‚Ich beschloss – endlich! – den Athos zu bereisen.‘

(Die Welt ohne Messer, Frauen und Spiegel und last not least: eine ohne Eier.)

Der Athos – Aufstieg und Abstieg.

Ueber das Aussergewoehnliche des Athosgebietes sollte man eigentlich nicht reden.
Wer das Glueck hat, so gesund zu sein, um die Wanderschaft durch dieses heute ziemlich unwegsame, verwilderte Gebiet anzutreten, wird die buerokratischen Praeliminarien gerne ueber sich ergehen lassen, um den offiziellen Zugang zu einem der letzten Paradiese dieser Welt zu erhalten. Aber nur eines fuer Maenner. Und nur fuer eine Woche hoechstens.

Und wer dazu auch noch das anderes ‚Glueck‘ hatte, mit einem unsaeglich dummen Menschen diesen Weg der Wege zu gehen – mit einem Mediziner, der nichts anderes im Kopf hatte, als das abendliche Essen in den einzelnen Kloestern – ‚michelinhaft‘ – wie er es nannte – zum Kotzen und laecherlich zu machen. Diese
‚Labung‘, die meistens aus einem kleineren, marinierten Fisch(Sic!), einer Lauchzwiebel, Brot, etwas Wasser oder einem kleinen Glas Wein bestand. Sicher: schmale Kost. Aber eine ausreichende, zweckdienliche. Eine der ueblichen Voellerei, dem Laster der Laster dieser Spezies, total entgegengesetzte.

Der Athos steht ganz allgemein fuer eine Art ‚Laeuterung‘. Der Laeuterung, weg von allem Unsinn, der war und noch sein wird im Leben, diesem winzigen Slot im Raum der Ewigkeit, der jedem Einzelnen von uns schicksalhaft zugemessen ist.

Eine Laeuterung durch das Gehen muessen. Gehen MUESSEN. In Dir mit jedem weiteren Schritt nach vorne, die Bruecken – als Metapher fuer jedes gehabte und noch weiter haben wollende Wunschdenken abzubrechen. Sie in Dir quasi zu ‚verbrennen‘.

Im Laufe des Tages von einer Herberge zur naechsten zu pilgern. Nirgendwo laenger als eine Nacht bleiben zu duerfen. Um am Ende innerlich muerbe und weich geworden, fast untroestlich zu sein, vielleicht sogar zu weinen beginnen, diesen ‚begnadeten‘ Platz, dieses in sich ruhende, absolute ADYTON – DAS NICHT ZU BETRETENDE – verlassen zu muessen. Den Rauswurf aus dem Paradies nachgespielt zu habend.

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Der Klang dieser Worte mag suggestiv sein.

Wird auch von den meisten Besuchern, die von dem Phaenomen ‚Athos‘ ergriffen wurden, so gesehen und geglaubt. Man sieht die Kulisse eines fast unberuehrten Landschaftsgartens. Zum Malen schoen. Sicher. Es gibt Bilder von mir, die das geradezu ,mit religioeser Inbruns‘ feiern.

Falls Du aber am fruehen Morgen einen Gottesdienst in einem Kloster besuchst, kann es Dir passieren, dass, wenn du mit uebergeschlagenen, laessig gekreuzten Beinen auf einer Kirchenbank sitzt, Dir diese, Deine Beine, von einem Moench mit geradezu boshafter Lust foermlich weggeschlagen, auseinander gerissen werden: „Du habest das Kreuzeszeichen verhoehnt!“ O, der Wahnsinn der Symbole!

Dann geht Dir mit einem Schlage der graesslichen Fanatismus auf, der hinter der schoenen Kulisse lauert.

(Ich passierte das russische Kloster, das groesste auf der Halbinsel. Kein Mensch wohnte da. Es war heruntergokommen und leer. Bis auf einen moenchisch auszumachenden Waechter, dessen Beine von Schwaeren ueberzogen waren.
Damals. Heute ist dieses Kloster sicher renoviert und wieder mit russischen Novizen voll belegt.)

Nachwort:
Er haelt die Zeit in Greichenland fuer die existenziell wichtigste in seinem Leben. Und grundlegend fuer sein Kunstverstaendnis. „Kunst“ kann kaum gelehrt oder gelernt werden.

Erinnerung, sprach.

kopie-von-gr13
(Berlin, den 29. Maerz 2013)








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